Die eigene Halle zur Festung ausgebaut, in der niemand näher als bis auf vier Tore an einen Punktgewinn herankam; mehr erzielte Treffer (608) und weniger Gegentore (400) als alle Mitbewerber, durchschnittlicher Spielausgang 30,4:20; die Torjägerkanone eingeheimst (Rica Löwenstein, 165) und sämtliche Direktvergleiche gewonnen: Auf die nackten Zahlen eingedampft, ist eine Spielzeit zu Ende gegangen, die niemand anderen als den TuS als Meister sehen konnte.
Die Endabrechnung bietet einen des Einrahmens würdigen Anblick erhabener Schönheit – nur das Wichtigste verschweigt sie: Tatsächlich war es nämlich ein Kampf, den anzunehmen das jüngste Team im Wettbewerb lernen musste.
Handballspielen konnten die Mädels, besser wohl als alle Konkurrenz. Aber wie man widersteht, wenn einem der Schneid abgekauft werden soll, wie man Zusammenhalt, Siegeswillen und Zuversicht ausstrahlt, Verantwortung übernimmt und unerschütterlich in sein Team vertraut, wenn es nicht nach Plan läuft oder man sich ungerecht behandelt fühlt: Das zu verinnerlichen war ein Prozess, der trotz des Erfolgs nicht abgeschlossen ist.
Dabei erwies sich als wenig hilfreich, dass die Liga eine Zweiklassengesellschaft war, in der zweistellige Hurra-Siege über Mannschaften aus dem Tabellenkeller immer wieder den Blick darauf zu verstellen drohten, was gegen die erfahrenen und kämpferisch starken Mitbewerber aus Stemmer, Häver, Meißen und Veltheim vonnöten sein würde.
Mit einem Durchschnittsalter von 19,2 Jahren zu Saisonbeginn war die Mission nach durchwachsener Vorbereitung in Angriff genommen worden. Zwar hatte man in Finnja Rohlfing und Rica Löwenstein zwei prägende Unterschiedspielerinnen der Liga und darüber hinaus weitere Akteurinnen in seinen Reihen, die sich trotz zarten Alters bereits ihre Sporen in höheren Spielklassen verdient hatten, aber was Erfahrung und Körperlichkeit angeht, hatten andere mehr auf der Pfanne.
So tat sich das Nettelstedter „Fräuleinwunder“ vor allem in den Auswärtsspielen gegen die anderen Top-Fünf-Teams manches Mal schwer. In der Hinrunde setzte es Pleiten in Veltheim und Stemmer, bei denen man mit der Linie der Unparteiischen haderte, die sehr lange und vielfüßig ziehen ließen, was naturgemäß eher das handballerische Breitschwert begünstigt als die feine Klinge.
In der Rückrunden-Vorbereitung schien es so, als sei die spielerische Antwort gefunden: Noch mutiger und höher gegen den Ball verteidigen, um sich einerseits nicht jedes Mal gegen am Wurfkreis festgetackerte Abwehrreihen durchwurschteln zu müssen, sowie sich andererseits so selten wie möglich in den eigenen Sechser schieben und Schiedsrichter darüber entscheiden zu lassen, ob nach einem mittleren Wandertag im Kontakt noch von der Vereitlung einer klaren Torgelegenheit auszugehen ist.
Beim überraschend gewonnenen Silvesterturnier in Oberlübbe und beim Kreispokal in der Woche darauf düpierte der TuS etablierte Landesligisten mit seinem Deckungs- und Umschaltspiel. Es folgten ein unerwartet lockeres Schaulaufen in Möllbergen und ein Heimspaziergang gegen Espelkamp sowie etwas aufwendigere Begegnungen in Vlotho und gegen Oberlübbe, in denen allerdings auch kein ganz großer Glanz versprüht werden musste, um jeweils doppelt zu punkten. Und als dann wieder mehr nötig gewesen wäre, war es: futsch.
Die Niederlage bei Mitabsteiger Häver war der emotionale Tiefpunkt der Saison. Der Aufstiegstraum schien ausgeträumt, und das Zustandekommen warf Fragen auf. Es war einer jener Momente, in denen ein nicht hinreichend gefestigtes Team durchaus zerbrechen kann.
Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Als der neue Spitzenreiter gleich im Spiel darauf patzte und die Tür für den TuS wieder einen Spaltbreit öffnete, wurde der kritische Moment zu einem der Umkehr. Als sei man sich erst in der Niederlage darüber klar geworden, dass man gern eine Meisterschaft gefeiert hätte.
Ein Ruck ging durch das Team und in den folgenden Wochen stieg die Trainingsbeteiligung. Auch die wöchentliche Einkehr in die „Muckibude“ erlebte etwas größeren Andrang als den der Handvoll üblicher Verdächtiger, die bis dahin meist unter sich geblieben war.
Man steckte die Köpfe zusammen und richtete die Anstrengungen gezielter darauf aus, eigene Stärken zu entwickeln und erkannte Defizite zu überwinden. Der Dienstag wurde zum „Turbo Tuesday“, gefolgt vom „Power-Mittwoch“ und dem „Spielwitz-Freitag“, jeweils mit den Schwerpunkten, die die Namen vermuten lassen. Einfach alles wirkte etwas zielstrebiger als in den Wochen und Monaten zuvor. Und mehr Spaß machte es auch.
Wer sich davon ein Bild machen wollte, konnte beinahe live dabei sein, weil die Mädels ihre Späßchen nicht im stillen Kämmerlein gemacht haben, sondern auf großer digitaler Bühne. Die @erstedamentusnettelstedt sind die Social-Media-Königinnen des Handballkreises. Ihre „Reels“, wie die Bewegtbild-Schnipsel auf Instagram heißen, wurden allein im März und April über 150.000 Mal angeschaut. Auf den Rängen 2 und 3 dieser inoffiziellen Spezialwertung folgen mit respektvollem Abstand ein Gerade-Noch-Zweitligist aus dem Osten und der glorreiche TuS N-Lübbecke – und danach lange Zeit gar nichts.
In der Oster-Spielpause, in der sich die geschätzte Mitbewerberschaft dem Vernehmen nach freie Tage gönnte, wurde beim TuS eine Schippe draufgelegt. Trainingsfrei war ausschließlich am Karfreitag. Außerdem haben die Mädels zwei Testspiele absolviert, unter europameisterlicher Anleitung tänzerisch an ihrer Körpersprache gearbeitet und in einem mannschaftlichen Kraftakt das Osterfeuer der Dorfgemeinschaft ausgerichtet.
Entscheidender Trumpf dürfte die Qualität des Kaders in der Breite gewesen sein. Nachdem aus zwei Mannschaften eine gebündelt worden war, sind sage und schreibe 25 Spielerinnen zum Einsatz gekommen, darunter ein halbes Dutzend Talente aus den A- und B-Mädchen. Während anderswo kaum ein konkurrenzfähiger „zweiter Anzug“ vorhanden war, konnte der TuS aus dem Vollen schöpfen und war auf allen Position doppelt bis dreifach stark besetzt.
Allerdings erfordert es auch von allen Beteiligten einen Akt emotionaler Intelligenz, eine derartige Vielköpfigkeit als die Stärke zu begreifen, die sie ist. Die Spielanteile für alle zufriedenstellend zu verteilen, war eine der größten Herausforderungen. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, gelang das nicht immer, bedingt auch dadurch, dass spätestens nach der Häver-Pleite jede Begegnung ein Alles-oder-Nichts-Spiel war, das gewonnen werden musste, wenn der Aufstiegstraum am Leben bleiben sollte.
Eine zugegebenermaßen akademische, aber dennoch spannende Frage lautet: Hat man es sich unnötig schwer gemacht, oder waren Rückschläge vielleicht sogar nötig, als Zündfunken für die Entwicklung, die schlussendlich zum Erfolg geführt hat? Vieles deutet darauf hin, dass eher Letzteres der Fall ist.
Auch wenn die nackte Statistik das kaum hergibt, war die Saison 2023/24 bis in die letzten Minuten des letzten Spieltags spannend. Auf ihren Ausgang können die Mädels stolz sein. Sie haben ihn sich verdient. Wenn auch ein kinoreifer Endspurt erforderlich war, würde wohl niemand ernsthaft bestreiten, dass sich das handballerisch stärkste Team durchgesetzt hat.
Für dieses geht es jetzt nach einem lockeren Abschlusstraining und zwei Wochen Pause am Pfingstwochenende auf Mannschaftsfahrt. Unmittelbar in der Woche darauf, von nix kommt nix, beginnt die erste Phase der Vorbereitung auf die nächste Mission. Die heißt „Klassenerhalt“, und sie dürfte eher schwieriger als leichter werden.
Auf der Trainerposition wird dann ein Rollentausch vollzogen sein. Vor dem Hintergrund, dass der TuS wieder doppelt im Spielbetrieb vertreten sein will, zieht sich Andreas Püfke in die zweite Reihe zurück und coacht die Spiele in der Kreisklasse. Für ihn übernimmt der bisherige Cotrainer Sven Kaatze die Geschicke in der Verbandsliga. Der amtierende Lehrwart des Handballkreises war einer der Garanten des Erfolgs, kennt die meisten Spielerinnen seit Jugendtagen und hat ihre Entwicklung mit geprägt.